Die polnische Hose

Aus Echte Männer. Ein Leben im Verborgenen. Piper Verlag 2005

Ich habe mich letzte Woche ganz fürchterlich mit Fanny gestritten. Es fing ganz harmlos an. Als ich von der Arbeit nach Hause kam, war es acht Uhr und meine Freundin saß auf dem Sofa und blätterte in einer Frauenzeitschrift. Ich beugte mich zu ihr und gab ihr einen Kuß.
„Wie war dein Tag,“ fragte Fanny freundlich.
„Geht so. Und deiner?“
„Sehr gut.“
Als ich zum Bad ging, sah ich, daß ihr Blick mir folgte. Ich konnte spüren, daß sie lächelte. Ich wußte, gleich würde sie etwas sagen.
„Also, entweder deine Hose ist eingegangen oder dein Hintern ist runder geworden.“
Ich blieb stehen, den Türgriff zum Bad in der Hand, und wußte nicht, ob sie nun etwas an der Hose auszusetzen hatte oder an meinem Hintern. Oder war das eine neue Art von verbalem Vorspiel? Ich drehte mich um.
„Ich habe das Gefühl, daß du mir was sagen willst. Wenn ich nur wüßte, was?“
„Genau das, was ich gesagt habe.“
„Was? Daß meine Hose eingegangen ist? Oder daß ich am Hintern zugenommen habe? Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Das eine ist mein Körper, das andere ein Kleidungsstück.“
Können die Menschen nicht sagen, was sie meinen?
„Was ist denn mit dir los“, fragt sie, „hast du wieder einen schlechten Tag gehabt?“
Ich weiß nicht, ob ich schon erwähnt habe, daß ich die Arbeit, die ich verrichte, manchmal sehr anstrengend sein kann. Ich bin freier Autor. Fanny sagt immer, ich solle mir was anderes suchen. Was Sicheres und Einträglicheres. Aber ich mag meinen Beruf. Meistens läuft es ja auch ganz gut. Im Moment aber nicht. Und so war meine Stimmung an diesem Mittwoch abend, wie all die Wochen zuvor, nicht die allerbeste.
„Ja, ich hatte einen schlechten Tag. Sagte ich das nicht schon?“
„Ich meine ja nur, daß das, was du deinen Freizeitlook nennst (und trotzdem zu deinen Terminen anziehst), vielleicht mal wieder erneuert gehört – das gilt auch für diese Hose.“
Zu dieser Hose muß gesagt werden, daß ich sie seit beinahe zehn Jahren besitze. Es ist eine graue No-name-Hose, eine Mischung aus Jeans, Wander- und Handwerkerhose, die ich auf einem Wochenmarkt in Krakau erstand, als ich dort mit ein paar Freunden ein Wochenende verbrachte. Es war ein Risiko, sie zu kaufen, denn dort auf der Straße konnte und wollte ich sie nicht anprobieren. Aber bei einem Preis von umgerechnet vier Euro ein geringes. Die anderen lachten, aber als wir wieder in unserer kleinen Pension waren und ich in die Hosen schlüpfte, wich ihre Belustigung allgemeiner Anerkennung. Denn diese Hose saß perfekt. Und das tut sie immer noch. Sie ist weit genug geschnitten, daß Stiefel drunter passen und eng genug, daß sie nicht mit einer dieser häßlichen Siebziger-Jahre-Hosen aus einem Secondhand-Laden verwechselt werden kann. Sie hat keine Knöpfe, sondern einen Reißverschluß, was ein enormer Vorteil ist. Der Sattel ist auffällig niedrig angesetzt, wie es jetzt Mode ist. Sie sitzt wie angegossen und ist auch nach all den Jahren, in denen sie den größten Teil ihrer Farbe verloren hat, immer noch mein liebstes Beinkleid. Zugegeben, wenn man ganz genau hinsieht, kann man ihre Herkunft erkennen oder zumindest erahnen. Aber gerade das – daß sie aus dem Ostblock stammt – gefällt mir an ihr. Mir gefällt, daß sie aus Polen ist und daß ich so wenig bezahlt habe. Daß sie mich an dieses Wochenende unter Männern erinnert. Daß sie so authentisch ist. Daß niemand anders eine solche Hose hat. Im Grunde genommen ist diese Hose eines der wenigen Kleidungsstücke, in denen ich das Gefühl habe, ich selbst zu sein. Und das ist verdammt viel wert. Weil das heutzutage kaum noch möglich ist. Überall muß ich zurückstecken und Kompromisse eingehen, mich anpassen und verbiegen.
„Deine Hose ist ja ganz schön und sicher auch sehr gemütlich“, sagte Fanny und richtete sich im Sofa auf, „aber ich finde, daß du ruhig öfter einen Anzug tragen könntest.“
Ich besitze vier Anzüge. Den ältesten habe ich mir vor sechs Jahren gekauft, den jüngsten vor einem. Früher, als ich noch in einer richtigen Redaktion arbeitete und viele Außentermine hatte, habe ich jeden Tag Anzug getragen. Heute sitze ich die meiste Zeit an meinem Schreibtisch und es macht wirklich keinen Sinn, mich herauszuputzen. Und wenn ich mal jemanden aus beruflichen Gründen treffe, dann irgendeine dieser rausgeputzten Redakteurinnen, die mir das ganze Jahr über das Leben zur Hölle machen. Für die bestimmt nicht.
„Die Redakteurin würde sicher denken, ich tue das für sie.“
„Aber du tust es für dich!“
„Für mich ziehe ich die Hose aus Polen an.“
„Dann tu es eben für mich.“
Manchmal verstehe ich sie einfach nicht. Sagt sie nicht immer, es ist das wichtigste, daß man sich wohlfühlt? Wenn ich schon in der Arbeit nicht ich selbst sein kann, will ich es wenigstens in meinen Kleidern sein. Und überhaupt: Was sollte das alles?
„Fange ich, wenn du nach Hause kommst, damit an, an deiner Garderobe herumzunörgeln?“
Fannys Hintern, dessen Form und Umfang sich in den letzten Jahren durchaus verändert haben, erwähnte ich lieber nicht. Nicht aus Rücksicht, sondern aus Erfahrung. Denn was das angeht, ist sie sehr sensibel. Sie weiß von diesen Veränderungen, aber sie erträgt es nicht, wenn jemand anders als sie selbst davon spricht. Und wenn sie es tut, darf ich ihr auch nicht zustimmen, sondern muß sagen, daß das nicht stimmt und daß ihr Hintern immer noch der knackigste und aufregendste ist, den ich kenne.
„Dafür gibt es ja auch keinen Grund. Ich habe nämlich einen guten Kleidungsstil.“
Da hatte sie allerdings recht. Ich mochte schon immer, was sie trug.
„Ach. Und ich nicht?“
„Nein, nicht immer.“
„Wieso? Was gefällt dir denn noch nicht außer meiner polnischen Hose?“
„Darum geht es doch gar nicht.“
„So? Worum geht es denn dann?“
So gab ein Wort das andere und am Ende flog ein Teller. Ich gestehe, daß ich es war, der ihn geschmissen hat. Es tut mir auch leid und ich habe mich dafür entschuldigt und den Teller werde ich auch ersetzen. Aber als sie sagte, daß sie das Gefühl habe, ich würde mich nicht genug um meinen Körper kümmern, setzte es bei mir einfach aus. Schon wieder sollte ich etwas an mir ändern, was meiner Meinung nach gar nicht verändernswert war. Ich fragte mich, was das alles soll und wieso ich das mit mir machen lasse. Mit ein bißchen Nachdenken kam ich drauf, daß Fanny nicht die erste Freundin ist, die ich habe und die sich ständig auf eine Weise in mein Leben einmischt, die ich nicht mehr gutheißen kann. Und mit noch ein bißchen mehr Nachdenken erkannte ich, daß ich nicht der einzige Mann bin, dessen Lebenspartnerin ständig an ihm herumkrittelt.

Das geht so, seit ich auf der Welt bin. Ständig wird mir vorgeschrieben, was ich zu tun und zu lassen habe. Von Frauen. Andauernd soll ich mich oder einen Teil von mir ändern. Es sind Frauen, die mein Leben dominieren. Ich meine nicht die Tatsache, daß es eine Frau war, die mich zur Welt brachte. Ich will auch nicht behaupten, daß Frauen über mich bestimmen, weil sie Spitzenfunktionen unserer Gesellschaft besetzen und Entscheidungsträgerinnen sind. Politik und Wirtschaft werden immer noch weitgehend von Männern bestimmt. Was ich meine, ist, daß Frauen bestimmen, wie ich als Mann zu sein habe. Sie bestimmen mein Denken und Handeln. Sie beeinflussen und domestizieren es. Die großen gesellschaftlichen Themen der letzten dreißig Jahre – außer Waldsterben, Natodoppelbeschluß und Wiedervereinigung – drehten sich alle um die Frauen. Es ging um Emanzipation und Gleichberechtigung, Abtreibung und Gleichheit am Arbeitsplatz, Bundeswehr und Frauenbeauftragte, Gender Studies und Lash Backs. Männer lassen lieben und Als Gott den Mann erfand, übte sie nur. Man/Frau und das große „I“ in ErbsünderInnen. Die Töchter Egalias und der Tod des Märchenprinzen. Ich lasse mir erklären, was schlecht ist an mir und an meinem für mein Geschlecht typischen Verhalten. Ich rede über Gefühle, gebe mich schuldbewußt und schäme mich für die jahrhundertelangen Schandtaten meiner Vorgänger, von Judas über Hitler bis zu meinem Schwiegervater in spe. Mein Leben und mein Alltag wurden und werden von diesen Themen bestimmt. Und immer sind es die Männer, die sich verändern und verbessern müssen, damit die Frauen so sein können, wie sie eigentlich sind. Dabei wird alles in Frage gestellt, was Männer tun: Ihre Art zu reden und zu schweigen, zu denken und zu diskutieren, zu dominieren und zuzuhören, zu regieren und zu vögeln. Sie sollen nicht so werden wie die Frauen – sie sollen so sein, wie die Frauen sie gerne hätten. Frauen bestimmen in Beruf und Gesellschaft, in Alltag und Privatleben, was Männer zu tun und zu lassen haben. Der Kodex männlicher Verhaltensregeln ist weitgehend von Frauen erstellt worden. Männer bemühen sich lediglich, diesem zu entsprechen. Da sie es nie schaffen werden – ganz einfach, weil er von Frauen erstellt wurde – sind sie ständig dem latenten Gefühl des Nichtgenügens und Versagens ausgesetzt. Mängel und negative Eigenschaften werden nicht konstatiert, sondern sind der permanenten Veränderung und Verbesserung unterworfen.
Und die Männer? Mühen sich redlich. Sie wollen nicht sein wie Frauen. Sie wollen so sein, wie sie glauben, daß Frauen wollen, daß sie sind. Geben sich Mühe. Sehen ein und gestehen. Geißeln sich und tun Buße und leben ihr Leben als Mann nur noch im verborgenen. Dabei vergessen sie sich selbst und drängen ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. Eigentümlich, was da in den letzten Jahrzehnten unter dem Deckmantel von Aufklärung und Emanzipation passiert ist. Damit ich nicht falsch verstanden werde. Ich bin nicht dafür, das Rad der Zeit zurückzudrehen und das Patriarchat wieder aufleben zu lassen, und Sexismus und körperliche Gewalt gegen Frauen lehne ich entschieden ab. Ich meine, ich mag Frauen und eine von ihnen sogar so sehr, daß ich mein Leben mit ihr teile und daß ich manchmal Ich liebe dich zu ihr sage. Aber seit Jahren tue ich alles dafür, um den Frauen gerecht zu werden. Besser gesagt, ihren Ansprüchen an mich. Und werde dabei das Gefühl nicht los, daß sich da eine Schieflage eingestellt hat, die uns allen nicht gut tut. Und die korrigiert werden sollte. Und zwar schleunigst …