Heidegger

Monatliche Kolumne im Regio-Magazin, November 2015

Heidegger

Ob Martin Heidegger gern Fahrrad fuhr, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass der Philosoph das Landleben sehr mochte und große Teile seines Hauptwerks Sein und Zeit in seinem Häuschen am Schauinsland verfasste. Etwas Seiendes hat nie einfach von sich aus einen Sinn, steht darin, sondern immer nur, wenn es prozessual eingebunden ist. Der Sinn eines Fahrrads wäre demnach, seinen Besitzer umweltfreundlich, gesundheitsfördernd und mehr oder weniger kostengünstig von A nach B zu bringen. Ein gestohlenes Fahrrad hat diesen Sinn verloren. Es war ein Rad, und plötzlich ist es ein Nichts, eine Loch im Leben und an dem Zaun, an dem es angekettet war. Die Chance, dass einem das in Freiburg passiert, ist erschreckend hoch. Die Ökohauptstadt ist nämlich eine der fahrraddiebstahlreichsten Städte Deutschlands. 2013 wurden hier 2056 Räder entwendet. Das sind in zehn Jahren 20.000 und in hundert 200.000 Stück, statistisch gesehen wird also jedem Freiburger einmal pro Jahrhundert das Velo geklaut! Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen, denn die 2056 sind ja nur die, die tatsächlich angezeigt wurden. Wer seinen Drahtesel sowieso los werden wollte oder die Rahmennummer vergessen hat oder sich nicht sicher ist, ob er ihn vielleicht im Suff irgendwo stehen ließ, geht selten zur Polizei. Wer ihn vorher selbst irgendwo gemopst hat, auch nicht.

Wenn einem das Rad geklaut wird, ist das Schlimmste die richtungslose Wut, die einen befällt. Stinksauer zu sein und nicht zu wissen, auf wen, ist schrecklich. Und man kreist immer wieder um die gleichen Fragen: Wer war was? Wo ist mein Rad jetzt? Fährt der Dieb damit herum? Hat er es verkauft? Oder in seine Einzelteile zerlegt? Oder angezündet oder vergraben oder in die Dreisam geworfen, weil er wissen wollte, ob es schwimmen kann?! Es gibt wirklich nichts Sinnloseres als einen gestohlenes Bike.

Je weiter oben man in den Schwarzwald wohnt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass einem das Stahlross stibitzt wird. In Hasel etwa, das im Hotzenwald an der Schweizer Grenze liegt, gab es im vergangenen Jahr fünf Körperverletzungen und drei Rauschgiftdelikte, aber keinen einzigen Fahrraddiebstahl! Auf dem Land ist die Welt eben noch in Ordnung. Das wusste schon Heidegger. Ob er deshalb so viel Zeit und Sein auf dem Schauinsland verbracht hat, weil ihm unten in der Stadt ständig das Rad gestohlen wurde?

Monatliche Kolumne im Regio-Magazin, November 2015