Kitsch und Kunst

Monatliche Kolumne im Regio-Magazin, November 2015

Kitsch und Kunst

Über nichts lässt sich so trefflich streiten wie über Kunst. Vor allem im Museum. Wer hat sich beim Betrachten eines zeitgenössischen Bildes noch nie bei dem Gedanken ertappt, so etwas auch, wenn nicht sogar besser hinzubekommen? Klatscht man aber selbst ein paar Farbkleckse auf die Leinwand, gilt man als stümperhafter Amateur. Das ist ungerecht. Sollten Sie in ihrer Freizeit auch gern zum Pinsel greifen, aber noch keine Anerkennung erfahren haben, fordere ich Sie hiermit auf: Machen Sie weiter! Viele verkannte oder spät erkannte Genies stammen aus unserer Region. Nehmen Sie Hans Thoma, den berühmtesten aller Schwarzwaldmaler. Heute hängen seine idyllischen Landschaften in Karlsruhe, Frankfurt und New York. In den Augen seiner Zeitgenossen waren sie jedoch großer Mist. Er wurde verlacht, ausgebuht und aus Kunstvereinen ausgeschlossen. Aber er gab nicht auf und blieb sich treu – die beiden wichtigsten Eigenschaften auf dem Weg nach oben – und wurde zum einem der wichtigsten lebenden deutschen Maler, dem der badische Großherzog sogar ein eigenes Museum stiftete.

Ein Künstler, dessen Atem nicht lang genug war, um von seinem Ruhm etwas mitzubekommen, war Ludwig Auerbach aus Pforzheim. Der wäre gern Schriftsteller geworden, musste aber die väterliche Schmuckfabrik übernehmen. Die Romane, die er trotzdem schrieb, wollte keiner lesen, die Firma ging Bankrott, als er mit 41 Jahren starb, hinterließ er eine mittellose Frau und zwei Kinder. Und ein Gedicht, von dem zu Auerbachs Lebzeiten keiner Notiz nahm, das aber im Lauf der Jahre zu dem Klassiker der Schwarzwald-Lyrik werden sollte: O Schwarzwald, O Heimat, wie bist du so schön. Es ist voller rauschender Wälder, lauschiger Täler, traulichen Mühlen und schwarzdunklen Höhn. Es wurde unzählige Male gedruckt, zitiert und vertont, es steht noch heute auf Postkarten, T-Shirts, Plastiktüten. Also, bleiben Sie dran! Und haben Sie keine Angst davor, kitschig zu werden. Über Kitsch kann man nämlich nicht streiten.
Monatliche Kolumne im Regio-Magazin, November 2015